Die Grammatik stimmt schon. Wir sind Nobelpreis, weil Fußball-Weltmeister noch viel unwahrscheinlicher ist. Ein kollektives gutes Gefühl durchströmt die Menge und hebt ein bisschen unseren nationalen Stolz. Jedenfalls bei denen, die über die Sportseiten hinaus blättern. Wer sich ein bisschen für Erkenntnisgewinn interessiert, kennt Anton Zeilinger schon länger. Das ist der richtige Zeitpunkt, um mit meiner Autogrammkarte anzugeben.
Mit großem Schaudern wurde mir während der Corona-Pandemie klar, wie leicht Menschen beeinflussbar sind. Stellen wir uns eine Szene vor. Eine Gruppe steht zusammen und plaudert. Der arbeitslose Hilfsarbeiter Walter Quapil (die Personen sind erfunden) sagt zu seinem Trinkkumpan Otto Wasdaspschek: “Die Wissenschaftler san ois Trottln. Die wissen goar nix. Des Corona is nur a Erfindung von de Doktan.” Otto hingegen setzt zu einem ausgefeilten Gegenargument an: “Jo, host eh recht. Ois Trottln. Und die Politika erst.” Walter verkraftet den Gegenschlag kaum und versucht an dem Argument anzuknüpfen. “I mochs wia da ameriganische Präsi. I nimm die Tablettn fia die Ross, nur was i ned in wecha Loch des g’heat. Wos fia di Fiaka guat is, is fia mi a guat.” Total perplex von der Gerissenheit seines Gegenüber, ergreift er sein Mobiltelefon und postet auf einer sozialen Plattform seinen Erkenntnisgewinn und erntet Zustimmung. Durch das positive Feedback ist der Algorithmus der Internetseite überzeugt, er müsse das Posting auch anderen weltweit vorschlagen. Das Ergebnis kennst du: Stürmung des Kapitols und jetzt wieder ein Putschversuch in Deutschland. Jeder weiß alles besser als Personen die in ihrem Fach Experten sind. Wo soll das enden?
Nur zu gern bedienen sich Filmschaffende, Schriftsteller, Kolumnisten, Influencer etc. an Klischees und es ist immer lustiger etwas durch den Kakao zu ziehen, als sich mit einem hochkomplexen Thema zu beschäftigen. Ich fürchte, dass viele das Bild des “Mad Scientists” nur zu verinnerlicht haben.
Das Böse ist leicht zu erkennen – und dieser irre Blick erst. Ein Einzelgänger in seinem Labor, der die Weltherrschaft an sich reißen möchte. Eindeutig! Tja, nichts könnte weiter entfernt von der Realität sein, als die Einzeltäter-Theorie. Anton Zeilinger hat bei seiner Nobelpreis-Rede alle Personen angeführt mit denen er wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht hat. Eine nette Geste, nur zu oft verschwinden die Menschen, die auch zum Erfolg beigetragen haben, hinter dem Kürzel “et al.” (und andere). Und hier der Gegenbeweis zur Einzeltäter-Theorie:
Einzelkämpfer gibt es nicht mehr, die wissenschaftlichen Themen sind dafür zu komplex. Wer es dennoch alleine versucht, tut mir leid, denn das Arbeitsvolumen ist vermutlich zu groß.
Wie Wissenschaft funktioniert
Angenommen man hat eine Idee zu einem Thema, welches man gerne veröffentlichen möchte, den Nobelpreis schon vor Augen, dann setzt man sich vor den Computer und sucht in den Bibliothekskatalogen alle relevante Publikationen zu diesem Themen heraus. Dann kommt das ganz Arge, diese Veröffentlichungen muss man auch lesen und die Verbindungen zu den bereits erwiesenen Tatsachen knüpfen. Je mehr konsistente Verknüpfungen vorhanden sind, desto tragfähiger ist die spätere Erkenntnis. Die Idee muss man auch beweisen und zwar empirisch. Je nach Fach kann das ein Experiment sein oder auch ein Fragebogen mit viiiiieeeelen Probanden, welcher statistisch ausgewertet wird. Hier reden wir nicht von einem schnellen Diagramm, sondern von komplexen mathematischen Auswertungsverfahren, dessen Ende allerdings wieder ein Diagramm sein kann. Und nein, nicht diesen abgenutzten Satz mit “selbst gefälscht” nur denken. Weiter im Erkenntnisprozess.
Bevor wir das Experiment kreieren können, müssen wir uns eine Hypothese überlegen, die wir beweisen können, erst dann schreiten wir zum Design des Versuchs. Angenommen durch Messungen kommen wir zu einer Bestätigung unserer Hypothese. Wir freuen uns, aber das ist erst der Anfang. Das Experiment wird oft wiederholt, ob auch immer das gleiche Ergebnis herauskommt, dann werden die Variablen verändert usw.
Dann schreiben wir alles zusammen, aber bevor wir ein sogenanntes “Paper” veröffentlichen, lassen wir die Daten von einem anderen Wissenschaftler überprüfen. Alles ok – weiter geht’s. Wir versuchen natürlich, die renommierteste Fachzeitschrift zu überzeugen, dass wir den interessantesten und profundesten Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft publizieren möchten. “Nature” sagt zu, weil wir so sorgfältig gearbeitet haben. Wir schicken das Paper hin und dann geschieht einmal gar nichts – aus unserer Sicht. Unsere wissenschaftliche Arbeit wird nämlich “peer-reviewed” und das ist gut so. Das heißt nichts anderes, als das unsere Arbeit von Experten auf dem gleichen Gebiet genau unter die Lupe genommen wird. Sind diese Leute auch von unserer Arbeit überzeugt, dann kann es veröffentlicht werden. Falls die Peers nichts gefunden haben, versuchen dann andere KollegInnen das Haar in der Suppe zu finden, sei es noch so klein. Das gelingt ihnen nur, wenn sie das Experiment wiederholen und später das Versuchsdesign abändern. Aber dieser Prozess führt dazu, dass die Erkenntnis immer tragfähiger wird und schließlich in den Kanon des Wissens aufgenommen wird. Bis … ja bis jemand eine noch bessere Erklärung abliefert. Erkenntnisse in Bücher ist ca. 10 Jahre alt – oder älter. Die neuesten Erkenntnisse sind nur in Artikeln diverser Fachzeitschriften zu finden.
Wissenschaftler würden nie behaupten, die absolute Erkenntnis gepachtet zu haben, auch wenn es für Laien so aussieht. Hochkomplexe Fragen führen zu hochkomplexen Antworten. Und jetzt Hand aufs Herz, wem neigst du eher zu glauben? Anton Zeilinger oder Walter Quapil aus unserer Szene?
In diesem relativ dünnen Buch, kann man auch die historischen Erkenntnis-Wellen kennenlernen. Es gab einmal eine Wissenswelt ohne Sauerstoff: die Phlogiston-Chemie, oder eine Welt ohne das Wissen über Mikroben. Heute ist das Kinderkram, aber damals welterschütternd – und natürlich kompletter Blödsinn.
Dieses Thema habe ich schon einmal in 11 aufgegriffen. Die vielen Wissenschaftler des IPCC arbeiten genau so, wie oben beschrieben, aber unentgeltlich und zusätzlich zu ihrer normalen Tätigkeit. Hier kommt Walter Quapil wieder zum Zug: “Bevur i wos umsunst moch, tu i glei goanix. Owa des kann i guat.”
Standing Ovation für Anton Zeilinger!